Auf eigenem Kiel ...

Die Übernahme und das anschließende kleine Refit war anstrengend gewesen. Nun mussten wir nur noch 2 Wochen ungeduldig sein, um Ende März Anno 2012 mit dem neuen Schiff in See stechen zu können.

Dank Benno und Susanne war das wichtigste Problem gelöst: wie bringen wir all' unseren Backsbeerenmus, Schwiegervater und Ute nach Harlingen? Der Kombi von Benno und Susanne wurde zugeladen bis zur Maximallast und früh um 5 Uhr ging es an einem kalten, windigen Frühlingsmorgen mit Nieselregen los.

Manfred weilte noch in London und sollte erst am nächsten Tag via Amsterdam zu uns stoßen.

Am frühen Vormittag kamen wir an - mehr als aufgeregt! Der erste Satz von Schwiegervaddern: "Man, das ist ja groß, das Boot!" Recht hatte er! Auch ich machte mir schon wochenlang Gedanken darüber, ob wir dieses Schiff zu zweit und in allen Situationen beherrschen... wir werden sehen!

Anstatt einer langwierigen Schlüssel- und Heizungsknopfanmachsuche öffnete sich das Schiebeluk und: Manfred winkte uns! Er konnte sich einen Tag früher als geplant loseisen und hatte sogar schon Kaffee gekocht.

So saßen wir kurz nach unserer Ankunft im "Salon" unter Deck und verwöhnten uns mit selbstgebackenem Kuchen und frischem Kaffee.

 

schöner Himmel über Friesland!
schöner Himmel über Friesland!
Gute Freunde muss man haben
Gute Freunde muss man haben
Harlingen wird bebummelt
Harlingen wird bebummelt

Benno und Susanne verabschiedeten sich nach einer eingehenden Schiffsbesichtigung und Stadtbummel durch das malerische Harlingen am frühen Nachmittag, um mit ihrem nun leeren Auto wieder gen Heimat zu fahren. Und wir drei richteten uns an Bord ein.

Am nächsten Tag schien die Sonne durch die Wolken - immerhin. Manfred kletterte an den Maststufen und - gesichert durch das Spifall - den Mast hoch und befreite ebendiesen sowie die Salinge von jahrealten Algen, Moos und Dreck. Frischwasser wurde noch gebunkert und dann hieß es: Leinen los!

Es geht los!
Es geht los!

Da das Wetter nicht dazu verlockte, gleich auf die Nordsee zu gehen, nutzen wir die Staande Mastroute über Leeuwarden, Burdaard, Dokkum zum Lauwers Meer. Die Fahrt dauerte 2 Tage und mit ordentlich Motorkraft muddelten wir uns auch durch die Flachstellen im Dokkumer Tief erfolgreich durch. Zum Glück waren die Schleusen ab dem 1.4. wieder besetzt - das hatten wir schlauerweise vorher schon mal recherchiert. So klappte es denn auch recht gut mit den Brückenpassagen. Ich verkrümelte mich die meiste Zeit unter Deck und fing an, fleißig das viele Messing zu putzen - es war eindeutig zu kalt, um die platte Landschaft und die vielen Bauernhöfe zu bewundern...

Abendlicher Stopp in Burdaard
Abendlicher Stopp in Burdaard

Auf dem Lauwersmeer angekommen, kribbelte es in unser aller Finger: Auriga sollte das erste Mal ihre Segel für uns ausrollen und zeigen, was sie so drauf hat. Rollgroß, Rollfock, Rollgenua (auch Yankee genannt)... Rollstuhl... nee, der nun nicht, aber mit etwas Gezerre und Gerucke entrollten sich die Segel für uns. Frische 4-5 Beaufort (gefühlt 6!) wehten uns ins Gesicht.

Schwiegervaddern hat die Ehre für das erste Mal
Schwiegervaddern hat die Ehre für das erste Mal
Das erste Mal segeln
Das erste Mal segeln

Hoch am Wind durfte unser Hintern das erste Mal die Bewegungen des Schiffes ausgleichen. Da war aber (noch) nicht viel mit Ausgleich: fast wie auf Schienen und mit wenig Lage schnob die "fette" Eisenlady durch das kabbelige, brackige Wasser. Wir schauten uns voller Stolz an und fühlten uns wie König & Königin. Es war ... ein bewegender Moment.

na, wie hoch ist wohl die Abdrift?
na, wie hoch ist wohl die Abdrift?

Die Wettervorhersage hieß uns noch einen Nachmittag und die Nacht hindurch im Hafen von Lauwersoog abwarten. Dann sollte sich der Starkwind gelegt haben. So kam es auch: Am Montag früh konnten wir den Bug durch die Schleuse Lauwersoog endlich auf die Nordsee richten (der Rest folgte zwangsläufig). Draußen stand eine Welle, dass es eine Pracht war, den mitauslaufenden Fischern zuzuschauen. Und wir mittendrin ... der große Iveco schob uns raus über die vorgelagerten Barren, die Segel wurden ausgerollt und sehnsüchtig darauf gewartet, dass etwas Wind dieselben füllen würde. Pustekuchen! Nix war. Welle wie blöd, und kein Fatz Wind.

Wir motorten den ganzen Tag lang im Küstenfahrwasser die friesischen Inseln  - vorbei an meiner Heimat und liefen spät abends um 22 Uhr in den Helgoländer Yachthafen ein. Geplant war eigentlich Norderney, aber bei der Altwelle und mit neuem Schiff (und unbekannten Motorzicken) hielten wir es für klüger, das Seegatt zu vermeiden. Tja, und ausser Motoren und dem Abbrechen des Motorzündschlüssels (inkl. Öldruckalarm) war auch nichts Spannendes mehr passiert.

Der Abend sollte aber noch nicht zu Ende sein: Heizung... Fehlanzeige! Die 5° Außentemperatur fühlen sich auch unter Deck nicht wirklich kuschelig an. Es stellte sich (recht schnell) heraus, daß der Ansaugstutzen für die Dieselheizung ca. 20 cm über dem Tankboden endet - geschätzte 150 L waren noch im Tank. Seit diesem Tag und Abend nenne ich meinen Manni auch Mc Gyver: innerhalb kürzester Zeit hatte er 5 L Diesel aus dem Haupttank in einen Kanister umgefüllt und den Ansaugstutzen der Heizung hier hineingesteckt - die Nacht war gesichert!

 

Da liegt die fette Eisenlady im Helgoländer Hafen
Da liegt die fette Eisenlady im Helgoländer Hafen

Ein Tag Pause auf Helgoland war angesagt, zumal wir ja Norderney ausgelassen hatten. Selbstverständlich wurde dieser Tag zum Tanken genutzt - die Kreditkarte fing das Glühen an. Aber wie sagte ein guter Freund: "Mit Schiffseignern über 42 Fuß hält sich das Mitleid in Grenzen!" Danke!

Okay, zurück zum Überführungsgeschäft. Am darauffolgenden Tag durften wir endlich segeln - halb hoch ran mit Sonnenschein (und Lausekälte) - ich denke, jeder Neubesitzer eines Bootes kann hier nachempfinden, wie es uns erging. Das Grinsen ließ kaum noch nach.

Bei strahlendem Sonnenschein liefen wir in Cuxhaven ein und hatten jede Menge Platz zum Festmachen. Nicht zu sehen ist der ssssaukalte Wind. Über Nacht erfuhren wir doch noch Minustemperaturen. Uwe, der sich früh am nächsten Morgen auf zu den Sanitäranlagen machte, kann dies bezeugen: er rutschte auf dem Rauhreif aus! Zum Glück ohne Folgen dank seiner guten Reflexe.

Frostheldin!
Frostheldin!

So, und jetzt kaufte ich mir eine Russenmütze - die mit den Ohrenklappen. Alle Versuche mit Stirnband, Mütze und Kapuze waren nicht allzu erfolgreich gewesen und solch eine "Tschapka" hatte ich bei einer Skipperin 3 Tage vorher auf Helgoland gesehen. Die musste ich nun unbedingt ausprobieren.

Tatsächlich ist so eine Mütze die Lösung: sie schiebt sich nicht über die Ohren bei jedem Verklickerprüfblick, sie drückt keine Brillenbügel auf den Knochen hinterm Ohr und hören kann man auch gut damit. Meine höchste Empfehlung dafür: *****

Am Samstag Vormittag liefen mit strammen Nordwest aus Cuxhaven aus und segelten mit einer schönen Backstagbrise die Elbe aufwärts. Endlich zu Hause! Kurz vor dem Einlaufen erwischte uns sogar noch ein Schneeschauer, der unserer Freude über eine glückliche verlaufende Überführung jedoch nicht mehr schmälern konnte. Wir waren Frosthelden geworden!

Die Schleuse zum Heimathafen Glückstadt
Die Schleuse zum Heimathafen Glückstadt

Mein Fazit nach der allerersten Fahrt mit Auriga lautet:

 

Ja, wir kommen zu zweit damit klar!

 

1. Die Segel sind groß

Es sind insgesamt über 110 m²  Segelfläche zu beherrschen, aber die Winschen sind auch gut dimensioniert. Sollte ich jedoch mal allein Wache haben, werde ich den Yankee einrollen (lassen) oder nur ein klitzekleines Stück stehen haben. Dieses Vorsegel ist mir echt zu groß. Ansonsten gefällt mir die Kuttertakelung supergut. Ich behaupte, dass wir nur aufgrund dieses Segelplans mit solch' einer Bootsgröße klarkommen. Und wir sind flexibel und schnell dabei, wenn es ums Reffen oder wieder Ausrollen geht. Dazu machten wir im ersten Urlaub im August 2012 beste Erfahrungen.

 

2.Cockpit

Das Cockpit ist sehr ergonomisch. Am besten gefällt mir, dass keiner außerhalb des Sülls hinter das Steuerrad klettern muß, da der Großschottraveller hinter dem Steuerbereich angebracht ist. Darüber hinaus ist der Stehplatz in Lee oder in Luv am Rad genial und sieht sicher auch ziemlich cool aus, wenn man sich mit einem Arm auf der Winsch abstützt :-)

 

3.Segelverhalten

Wenn die Segel gut getrimmt und rechtzeitig gerefft werden, steuern sich die 19 Tonnen wie auf Schienen. Allerdings ist die Reaktionszeit vom "Am-Rad-drehen" bis "Bug geht in die andere Richtung" seeeeehr lang, besonders im Vergleich zu Manfreds supertollen kleinen Colvic Ufo 27 (http://colvicufo27.jimdo.com/), die mit Pinnensteuerung und einem verlängertem Ruderblatt wie eine Jolle reagierte. Ich muss wohl noch ordentlich üben, meine Steuerbewegungen auf ein Minimum zu reduzieren, soviel steht schon mal fest.

Und noch etwas: wer die Wende vergeigt, hat dieses Schiff für gefühlte 10 Minuten zum Stehen gebracht. Da hilft kein Ruderlegen, kein Schotenzunzeln, da muss man abwarten oder wenn's mit der Großcontainer-Schifffahrt eng wird: MASCHINE AN!!!

 

4. Eine Maschine hat das Schiff auch

Und was für eine: einen Iveco LKW-Motor mit 120 PS. Wenn man diesen startet, dann erschaudert's einen ... mich zumindest. Es ist ordentlich Wumms dahinter, den man aber angesichts des Schiffsgewichts und zum Beispiel in der Elbmündung mit 4 kn Strom hin und wieder echt gut gebrauchen kann. Der Preis ist natürlich ein Dieselverbrauch, der schon weh tut: kostet knapp einen Liter Diesel pro Meile... aua. Gut, denn muss eben mehr und länger gesegelt werden.

 

5. Kochen & Kühlen

Der Petroleum-Herd (Taylor): Naja, nun, kochen konnte man damit. Aber auch ganz hervorragend die Pantry verräuchern. Er erforderte Geduld, Spiritus-Fingerspitzengefühl und ein gutes Timing. Er ist nix für Optimisten: wenn der richtige Zeitpunkt für das Öffnen der Düsen verpasst wurde, ist es absolut ratsam, das ganze Spiritus-Vorglühprozedere zu wiederholen! (Ein Jahr später gab es zum Geburtstag einen schönen, niegelnagelneuen 2-flammigen Gasherd mit temperaturgeregelten Ofen *freu*).

 

Sehr praktisch sind die zwei Kühlmöglichkeiten hier an Bord. Ein sehr tiefes Kühlfach kann als Freezer bezeichnet werden und der andere Kühlschrank befindet sich auf Brusthöhe gleich neben dem Herd. Da geht so viel rein, dass die Verführung zum Einkauf vieler leckerer, kalorienreicher Dinge sehr groß geworden ist.

 

 

 

Unbegeistert und hungrig
Unbegeistert und hungrig

6. Mannöver unter Maschine -

... überlasse ich dem Skipper. Das Schiff hat ja ein Bugstrahlruder und das ist  wunderbar im Hafen. Aber man muss auch kapieren, wie dieser im Zusammenspiel mit Ruderlage, Vorwärts-/Rückwärtsgas und Seitenwind einzusetzen ist. Manfred gelingt das in der ersten Woche schon ausgesprochen gut. Davon ab:  zum Rückwärtsfahren braucht man diesen auch, weil Auriga rückwärts nur Kurven fahren würde, wenn man sie liesse. Habe ich später mal ausprobiert (mit vieel Platz) und nur mit Ruderlage ist da nichts zu machen. Aber das geht ja dauerhaft nicht an, dass nur Manfred mit diesem Schiff an- und ablegen kann. Ich werde mich also mit klopfendem Herzen und rotem Kopf an die An- und Ablegemanöver - unabhängig von der Größe der Zuschauermenge - herantrauen müssen. Hilft nix.

 

Liegeplatzfindung

Zu unserem Bedauern müssen wir uns zu leider auch abgewöhnen, in die hinterletzte Ecke von überfüllten Häfen zu manövieren, wir kämen nur mit Schlepperhilfe wieder raus. Dafür können wir aber nun vieeeel entspannter ankern.... aber dazu später mehr.

 

7. Festmachen ist eine Kunst

... für jedes Schiff und jede Crew. Mit den nun wesentlich längeren, dickeren und schwereren Festmacherleinen und Fendern zu hantieren, ist echt anstrengend und muss wohl überlegt sein. Es gilt, rund 12 m Länge und 4 m Breite zu beherrschen - da sind schnelle Taktikänderungen beim Anlegen oder Ablegen wirklich unangenehm und führen regelmäßig zu "dicker Luft" zwischen Steuermann und Vorschiffsfrau. Allein das ist schon ein Grund, möglichst schnell selber hinter dem Rad zu stehen. Da wir uns ja für ein Mittelcockpit entschieden haben, ist der Steuermann auf jeden Fall dazu verdammt, bis zur ersten festen Landverbindung auch an den Gashebeln und Ruderspeichen stehen zu bleiben. Auch hier gilt: Übung macht den Meister ("Bleib' bloß da stehen - ich schaff' den Dalben schon allein") Und: der Bootshaken kommt endlich zu Einsatz. Auf der Colvic Ufo 27 war es verpönt, ebendiesen für Leinen und Dalben oder zum Abhalten an anderen Schiffen zu benutzen, das ging ja gar nicht!

 

8. Komfortzone

Das Leben an Bord ist sehr komfortabel geworden. Das gilt gleichermaßen für die Schiffsbewegungen, wenn man sich unter Deck aufhält wie beim "Wohnen" im Hafen oder vor Anker. Softweiche Bewegungen, kaum Segel/-Windgeräusche, Stehhöhe für jedermann, einen riesengroßen Salon, Heizung mit ca .12 - 15 Warmwasserheizkörpern, große Doppelkojen vorn und achtern und jede Menge Stauraum* - Herz, was willst du mehr?!

 

Wir haben uns ja bewußt ein "Kellerschiff" gekauft, welches mittels weniger, kleiner Fenster und zweier Prismen Tageslicht unter Deck bringt. Dafür haben wir wenig Ausguck. Warum? Ganz einfach: Auf unserer geplanten Langfahrt möchte ich in meiner wachfreien Zeit kein Wasser, keinen Sturm,  Riesen-Wolken, Blitze oder ähnlich gruseliges sehen müssen. Und zudem gilt: Fenster, die man nicht hat, können auch nicht lecken... oder? Der Preis dafür ist, dass wir recht wenig vom Hafenkino mitbekommen.

 

*Für den Stauraum werden wir auf jeden Fall noch einen Stauplan erstellen, damit man nicht die ganze Zeit fluchend durchs Schiff wuselt auf der Suche nach dem Nähzeug, der guten Flasche Wein oder der eisernen Handtuchreserve. Herrlich - fast wie zu Hause.

Schwiegervaddern prüft die Ausbauqualität
Schwiegervaddern prüft die Ausbauqualität