Santa Maria und Sao Miguel
Ich sitze hier in Ponta Delgada vor meinem Laptop mit kratzendem Hals und Pfefferminztee nach einer recht schlaflosen Nacht. Manfred, Heiko und Heike sind mit dem Mietauto auf Sao Miguel unterwegs, den Westen von Sao Miguel zu erkunden. Ich bemitleide mich gerade, weiß aber, dass die anderen drei heute stressfrei die Serpentinenstraßen befahren können, die 25 % Gefälle haben. So kann ich mich heute etwas ausruhen und die drei haben ihren Spaß (hoffentlich).
Aber zurück zum Anfang, letztem Samstag auf Santa Maria. Wir haben tatsächlich das Blues-Festival in Anjus besucht. Es ist echt aberwitzig, mitten im Atlantik auf einer der kleinsten Inseln der Azoren solch‘ ein 3-tägiges Festival zu organisieren. Viele Besucher haben auf den wenigen Wiesen und Vorgärten ihre Zelte aufgeschlagen und genießen neben der musikalischen Attraktion auch den Zauber dieses kleinen Ortes und des allabendlichen Sonnenuntergangs. Wir sind ebenfalls fasziniert. Allerdings muss man wissen, dass die Portugiesen und auch Azorianer nicht vor 23 Uhr mit dem Feiern anfangen. So auch hier. Wir vertreiben uns die Zeit mit dem Besitzer und den 2 Mitseglern des Herreshoff-Repliks, der Ketsch namens Tioga. Die erste Band ist nicht so ganz nach unserem Geschmack und so beschließen wir, doch recht bald den Heimweg an zu treten. Daumen raus funktioniert so früh in der Nacht natürlich nicht, weil die Besucher noch eher zum Ort hinfahren als wegfahren. Dank gebührt dem netten jungen Polizisten, der uns per Handy mal eben so eines der gut beschäftigten Taxis organisiert.
Gut, das wir nicht so spät ins Bett gekommen sind, denn heute, am 17.7. wollen wir auch endlich mal wieder die Wanderschuhe anziehen. Es geht kurz vor Mittag los zur Baia Formosa. Laut Wanderkarte eine mittelschwere Wanderung mit rund 6,2 km Länge. Wir haben heute zum Glück eine frische Brise und gelegentliche Wolken, sonst wären wir definitiv zu spät unterwegs gewesen. Der Weg führt entlang der Steilküste, auf den hochgelegenen Wiesen mit Zaunübertritten oder Durchgängen (nur für Menschen gedacht, die nicht dicker als ein Kuhkalb sind!) nach Osten. Wieder mal tolle Rundum-Blicke und neue Pflanzen, deren Namen wir fast alle nicht kennen. Manfred bricht mir aus dem hiesigen bambusartigen Ried einen Wanderstock, der mir bei der folgenden serpentinenartigen Strecke eine große Hilfe ist. Als Flachländer ist es ziemlich anstrengend, diese Wege zu gehen. Als wir schon denken, „na, wenn das mittelschwer war, dann ist das nicht so schlimm“ kommt der wohl anstrengendste Teil der Wanderung zum großen Sandstrand von Formosa. Es geht über Millionenjahre alte, natürlich erkaltete Lavabrocken und –flüsse direkt an der Atlantikbrandung auf recht schmalen Wegen (zum Teil mit Seilen an der Felswand abgesichert, an denen man sich festhalten kann) entlang. Obwohl an den allerschwierigsten Stellen sogar kleine Holztreppen angebracht wurden, bleibt es anstrengend, denn jeder Tritt will gut überlegt sein. Ein Sturz auf diese scharfkantigen Lavabrocken ist eine echt schlechte Option. Meine Oberschenkel zittern mittlerweile und so sind wir froh, im kleinen beschaulichen Badeort eine kleine Stärkung zu uns nehmen zu können. Und dann geht es endlich in die gewaltigen (schönen) Wellen. Welch‘ Hochgenuss! Toll finden wir auch, dass es hier an den Stränden überall kostenlose Süßwasserduschen gibt, die wir gern in Anspruch nehmen. Gegen 18 Uhr halten wir den Daumen raus und drei nette junge Mädchen fahren uns zurück nach Vila da Porto. Auf diesen kleinen Inseln funktioniert dasTtrampen wirklich gut, weil die Einwohner wissen, wie selten die Busse fahren. Durch das Blues-Festival sind zudem alle Mietautos besetzt und die Taxifahrer sind ebenfalls gut beschäftigt.
Am Montag den 18.7. lackiert Manfred einige kleinere Roststellen über, um schlimmeren Rost zu verhindern. Dann nehmen wir (endlich mal) einen Bus und fahren zur Ortschaft Santa Barbara. Dieses Postkarten-Dörfchen hat außer der obligatorischen Kirche und einem Kaffee nur gut gepflegte Häuser zu bieten. Hier auf Santa Maria hat sich die Sitte durchgesetzt, dass die Häuser (fast) alle in Weiß angemalt sind. Je nach Dorf sind dann die Fenster und Türen in Rot, Blau, Grün oder sogar Pink umrandet.
Wir folgen heute der „Haupt“-Straße ca. 1,5 km aufwärts - vorbei an den hier überall üppig blühenden Hortensien. Bald darauf haben wir auf der ebenfalls sich eng und steil windenden Straße runter zur Ortschaft Sao Lorenco gigantisch-kitschig-schöne Ausblicke. Diese nordwärts ausgerichtete Bucht ist eine der schönsten auf dieser Insel: Hier sind die Hänge terassenförmig angelegt und mit Weinstöcken bepflanzt. Im Kontrast mit den schmucken weißen Häusern und dem tiefblauen Meer verschlägt es einem schon etwas die Sprache. Unten angekommen, finden wir ein sogenanntes Meerwasserbecken zwischen den schmalen Sandstreifen an der recht hohen Mole (muss hier im Winter ordentlich hoch hergehen…). Das Meerwasserschwimmbecken ist aber auch etwas „langweilig“, obwohl die Wellen hier noch um einiges größer sind als am gestrigen Praiha Formosa. Wir trauen uns nur ins Wasser, weil auch andere Badende das Spiel mit den Wellen genießen. Es ist ein herrlicher Spaß, durch die Wellen zu tauchen oder paddelnd im weißen Schaum mit zu „surfen“. Nur entschlossene „Durchtauch- oder Mitsurf-Manöver“ retten einen davor, ungewollt durchgeschleudert zu werden.
Zurück geht es dann ebenfalls per Anhalter. 3 junge Azorianer von der Hauptinsel Sao Miguel, die hier zum Blues Festival wohl Urlaub gemacht haben, erbarmen sich unser, als wir die wenigen Autos mit unserem Daumen zum Anhalten animieren versuchen. Dafür werden sie bei uns an Bord auf ein kleines Bierchen eingeladen.
Zwischenzeitlich haben sich die „Heiks“ von der flying fish (lesenswerter Blog: www.syflyingfish.de) per Mail gemeldet. Sie sind in Ponta Delgada und wir freuen uns riesig darauf, die Beiden endlich kennen zu lernen. Eigentlich hätten wir heute am Dienstag, den 19.7. die 50 sm segeln/motoren können, wäre da nur nicht der starke Nordwind gewesen. Das lassen wir denn aber schön bleiben und kümmern uns lieber noch mal um Auriga: Manfred kontrolliert die Ausrichtung der Maschine und es wird sogar mal wieder staub-gesaugt. Außerdem backen wir zum 1. Mal auf dieser Reise selber Brot (Vollkorn-Backmischung von Ikea oberlecker!) Der Rest des Tages wir dann einfach mal vertrödelt – muss auch sein, finden wir.
Auf nach Sao Miguel / Azoren
Mittwoch früh um viertel vor acht legen wir ab. Aufgrund unserer Erfahrungen mit Madeira motoren wir in 2-3 Meilen Abstand zur Westküste von Santa Maria entlang, bis auch das nördlichste Kap gut querab liegt. Der Wind bleibt jedoch moderat und so setzen wir zweieinhalb Stunden nach Start die Segel. Die Sonne scheint und wir sehen sogar eine große Schildkröte! Jetzt wäre denn auch langsam mal Zeit für die ersten Walbesuche, aber die sind heute irgendwo anders zum Kaffee einladen?!
Später am Nachmittag dreht der Wind von Nordost auf Nordwest und nimmt bis auf 4 Windstärken zu. Da auch die Waliser Segelyacht „Gwawr“ (geschätzt 48 Fuß lange Jeaneau ) mit Dennis und Sarah aus Vila da Porto mit uns gemeinsam nach Ponta Delgada unterwegs ist, haben wir schon den Ehrgeiz, diese nicht an uns vorbei ziehen zu lassen. Es klappt nicht ganz, wird uns aber von unseren „Gegnern“ später im Hafen schön geredet … freundliche Leute, die wir hoffentlich auf Teirceira wieder treffen werden.
Gegen 18 Uhr legen wir in Ponta Delgada an und sehen auch gleich die ebenfalls von Herrn Koopmans gezeichnete Victoire „flying fish“ mit den „Heiks“. Bald darauf kommt auch Heiko vorbei und lädt uns zum Abendessen ein. Wir machen uns und Auriga kurz frisch und werden dann selbst mit einer riesigen Käseplatte, frischer Ananas und Rotwein verwöhnt. Schnell kommen wir überein, dass wir uns hier auf der Insel gemeinsam ein Auto für 2 Tage mieten wollen. Heiko ist so nett und will sich darum kümmern.
Donnerstag, 21.7.2016
Heute habe ich meine Mutprobe: ich will zum Friseur! Manfred und ich bummeln durch die Stadt auf der Suche nach einem Friseurladen mit Sprachkenntnissen in Englisch. Wir haben Glück und ich habe um 15 Uhr einen Termin bei „Marcia“. Vorher finden wir endlich auch einen Laden, in dem wir 2 kleine Dosen mit Farbe für unser „Gemälde“ erstehen können (die Deutschland-Flagge wird kurzerhand gestrichen, weil sie 3 Extra-Farben benötigt :-))
Da wir abends die Heiks zum Spaghetti-Bolognese Essen eingeladen haben, erledigen wir noch die erforderlichen Einkäufe und dann mache ich mich auf zu meiner Mutprobe. Und was soll ich sagen: Glück gehabt! Die gute Frau versteht ihr Handwerk und wenn man davon absieht, dass zweifingerbreit Abschneiden hier locker dreifingerbreit ist, bin ich hoch zufrieden (Fotos folgen!).
Abends können wir endlich mal wieder den Tisch schön decken und in Gesellschaft essen. Heike bringt sogar noch einen frischen Salat mit und wir essen bis zum Platzen. Für die kommenden 2 Tage werden wir ein Auto haben und schmieden Pläne, was wir anschauen, erwandern und bebaden wollen. So endet der lauschige Abend bei Portwein und Kerzenlicht im Cockpit - fast wie zu Hause.
Freitag, 22.7.2016
Um 9.30 Uhr stehen wir voll ausgerüstet vor flying fish und holen mit ihnen gemeinsam das Auto von der nahe gelegenen Verleihfirma ab. Dann geht es über die Schnellstraße zügig nach Ribeira Brava an der Nordküste, wo wir frühstücken wollen. Der Ort hat sich noch etwas mehr Ursprünglichkeit als Ponta Delgada (mit seiner modern und nicht besonders ansprechenden Häuserfront zur Seeseite) bewahrt. Zudem wird hier gerade ein Mittelalterfest aufgebaut und wir nehmen uns vor, evtl. auf dem Rückweg erneut halt zu machen.
Zuvor jedoch wollen wir die Teeplantage Gorreana www.gorreana.de/plantage/ besuchen. Wenn bloß die verflixte Navigation mit Papierkarten nicht wäre. Meine Fähigkeiten, Heiko zu lotsen, enden das eine oder andere Mal in der undiskutierbar falschen Richtung. Es ist wohl doch besser, wenn Heike ihren Mann wie gewohnt lotst. Die beiden sind ein eingespieltes Reiseteam und haben uns spürbar jede Menge Erfahrung voraus. Und so kommen wir denn doch noch gegen Mittag in der Teeplantage an. Wir bewaffnen unsere Füße mit Wanderschuhen und auf geht es zwischen den reihenförmig angelegten Teebüschen (sagt man das so?) aufwärts. Leider scheint heute keine Sonne und macht das Fotografieren recht schwierig. Heiko und Heike sind beide mit Kameras und viel mehr Ehrgeiz als wir unterwegs…. wir knipsen halt nur ;-)
Anschließend besuchen wir die Teeplantage Gorreana für die Fabrikation des hiesigen schwarzen und grünen Tees und dürfen uns sogar gegen eine kleine Spende frei mit Tee verköstigen. Sehr lecker, auch wenn ich als Ostfriese mehr auf Assam-Tee geeicht bin. Wir sind wohl außerhalb der Erntezeit zu Besuch, denn die Maschinen laufen nicht. Bedauerlicherweise finden sich auch keine Erklärungen zu den Abläufen der Teefermentation, -sortierung und Trockung. Es handelt sich hier um eine der ältesten Teeplantagen von Sao Miguel, das zumindest können wir in Erfahrung bringen.
Nun denn, langsam meldet sich der Hunger wieder und wir fahren wieder runter zur Küste in das Dörfchen Maia mit der Hoffnung, ein im Reiseführer empfohlenes Restaurant zu finden. Die Suche gestaltet sich recht schwierig und als wir es endlich gefunden haben, war die Küche leider schon geschlossen. Glücklicherweise finden wir an der „Haupt“straße einen Imbiss, der die auch hier üblichen Hamburger mit Pommes oder Omeletts anbietet.
Nach dieser Mittagspause und einem schnellen Bad im Meer geht die Tour weiter zur Ostküste. Hier hat es uns der Ort Nordeste angetan. Die Fotoapparate werden gezückt und die besten Perspektiven gesucht. Dann soll es zum nächsten „Miradoro“ (frei übersetzt „schöner Aussichtspunkt“) gehen. Wenn da nur nicht die Straße mit 25 % Gefälle wäre! Es handelt sich um einen Leuchtturm, der allerdings auch oben von 2 Aussichtspunkten aus gut zu sehen ist. An diesem Punkt unserer Tour angelangt, verweigere ich einfach mal die weitere Mitfahrt und bitte darum, mich mit meinem Rucksack oben stehen zu lassen und bei der Rückfahrt wieder mit zu nehmen. Zum Glück scheint die Sonne für hübsche Aufnahmen nicht und es wird allgemein auf diese steile Serpentine verzichtet…
Abends landen wir wieder in Ribeira Grande und genießen das bunte Treiben auf dem mittelalterlichen Fest. Viele Schausteller (und Bewohner) haben sich kostümiert, es gibt musikalische Umzüge und kleine Tanzvorführungen. Wir machen es ins „in der 1. Reihe“ mitten im Volk mit einem Grillteller und Vinho Verde gemütlich. Am besten gefällt uns die ca. 30-köpfige Trommelgruppe, die zu späterer Stunde auf der Treppe hoch zur Kirche ihre Schlegel und Trommelstöcke wirbeln lassen.
Dank Google finden wir dann sogar aus der vielfach mit Sperrungen versehenen Stadt wieder raus auf die Schnellstraße und sind um 23 Uhr zurück in Ponta Delgada.
Und somit sind an dem heutigen Tag angekommen – siehe oben. Falls ihr Bilder vermisst, dann bitten wir um Nachsicht, weil auch hier wie schon auf Santa Maria das Internet sehr schwach ist. Wir versprechen, diese bei besserer Verbindung nachzuladen!
Und noch was müssen wir mal an dieser Stelle loswerden, nämlich zum aktuellen Tagesgeschehen auf dem „Festland“: soweit möglich, verfolgen wir natürlich auch die aktuellen Nachrichten zum Brexit, zum politischen Desaster in der Türkei und den jüngsten Attentaten in Europa. Es bedrückt auch uns während unserer Reise und hier mitten im Atlantik sehr, wie sich die Welt momentan verändert. Der Begriff „Betroffenheit“ ist ein wenig zu schwach für das mulmige Gefühl, welches sich bei uns breit macht. Uns Mitgefühl geht an alle Angehörigen, die in dieser Zeit liebe Menschen so unversehens verloren haben.
Jedoch: die Hoffnung auf ein Abebben von nationalistischen Extremen und terroristischen Attentaten geben wir nicht auf!
Eure
Manfred & Ute
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Anke (Sonntag, 31 Juli 2016 11:39)
Ihr liebe Azorianer auf Zeit,
mir hat es wieder einmal sehr viel Spaß gemacht euren Reisebericht zu lesen. Es muß einfach herrlich sein in die atlantischen Wellen zu springen und gut erfrischt die Orte und Landschaft zu erkunden. Unsere Segeltour wird noch bis kommenden Mittwoch gehen. Ihr habt da ja noch ein paar Tage mehr....